Greizer Papierfabrik ist die älteste noch produzierende Papiermühle in Thüringen
„Die Papierherstellung gehört einfach zu Greiz“, bringt es Udo Hollbach, Geschäftsführer der Koehler Greiz GmbH & Co.KG, am Sonntag im Unteren Schloss auf den Punkt. In den Räumen des Museums wurde die neue Sonderausstellung eröffnet, die unter dem Titel „Papier ist geduldig“ 434 Jahre Papierherstellung in Greiz Revue passieren lässt.
Die Entwicklung von der einstigen Papiermühle am Aubach zum stadtprägenden Betrieb an der Göltzsch erlebte zahlreiche Besitzerwechsel. Doch zwei Familien prägten den Aufschwung der Papierherstellung in Greiz besonders: Die Familie Tischendorf war 174 Jahre Besitzer der Papiermühle, die ab 1808 für 140 Jahre in den Besitz der Familie Günther überging. Eine Schenkung von zwölf Ahnenporträts der Familie Günther, die Dr. Klaus Otto Günther den Museen der Schloss- und Residenzstadt Greiz übergab, ist der Anlass für die neue Sonderschau, in deren Rahmen die Bilder erstmals präsentiert werden. Darunter zwei große Ölbilder vom letzten Privatbesitzer der Papierfabrik, Felix Reinhold Günther, und dessen Gattin Margarethe.
„Wir haben die Gemälde erst am Freitag mit dem Auto von uns aus Berlin hierher nach Greiz gebracht“, berichtet Edelgard Günther – die Frau von Klaus Otto Günther, dem Enkel von Felix Günther – am Sonntag. Die Einrichtung der Ausstellung wurde sozusagen von den Museumsmitarbeitern mit „heißer Nadel“ gestrickt. Mit der Schenkung der Bilder wurde zudem ein umfangreiches Konvolut von Dokumenten aus dem Privatbesitz der Familie Günther nach Greiz überführt, das im Landesarchiv Thüringen-Staatsarchiv Greiz gesichert und für zukünftige Forschungsprojekte vorbereitet wird.
Zur Ausstellungseröffnung im bis auf den letzten Platz gefüllten Festsaal des Unteren Schlosses zeichnete Museumsleiter Rainer Koch die Entwicklung von der einstigen Papiermühle zur heutigen Papierfabrik mit vielen Jahresdaten auf. Am 8. März 1591 erhielt ein Hans Rot von den Herren Reuss Älterer Linie das Privileg zum Betrieb seiner Papiermühle, die dieser vor den Stadtmauern am Aubach gebaut hatte. Das war der Beginn der Papierherstellung in Greiz.
In den folgenden Jahren wechselten mehrfach die Besitzer, bis am 3. Oktober 1634 Valentin Tischendorf die Papiermühle erwarb. Drei Jahre später verlegte Tischendorf die Mühle an den Zufluss der Göltzsch in die Weiße Elster, wo sie von Generation zu Generation vererbt wurde. Nach 174 Jahren verkaufte die kinderlose Witwe von Gottfried Heinrich Tischendorf die Papierfabrik. Ein Nachkomme der Familie, Christian Tischendorf, führt mit seinem Medienunternehmen heute die handwerkliche Tradition seiner Vorfahren in Greiz fort.
Am 17. Februar 1808 kaufte Christian Friedrich August Günther die Papiermühle im Göltzschtal. Dessen Urenkel Felix Reinhold Günther wurde 1894 im Alter von 23 Jahren als Mitinhaber in den Familienbetrieb ein und wurde am 1. Januar 1902 Alleininhaber. Felix Günther entwickelte nicht nur die Greizer Papierfabrik zu einem modernen Betrieb. Mit dem Bau von Betriebswohnungen und -häusern, eines Firmen-Kindergarten, der Altersversorgung langjähriger Mitarbeiter sowie der Versorgung im Krankheitsfall ging er weit über die sozialen Standards der damaligen Zeit hinaus: 1902 gründete Felix Günther eine Fabrikkrankenkasse und eine Fabrikspeiseanstalt. 1903 wurde der Belegschaft ein Fabrikbad eingerichtet, für deren regelmäßige Benutzung Prämien ausgesetzt wurden!
Übertarifliche Urlaubsregelungen und Lebensversicherungen nach zehnjähriger Betriebszugehörigkeit waren ebenso Bestandteil der Firmenpolitik wie feste Geldgeschenke bei Heiraten und Geburten. Kinderreiche Familien erhielten eine Brotzulage. Alle Betriebsangehörigen erhielten eine Weihnachtsgratifikation, deren Höhe sich nach dem jeweiligen betrieblichen Gewinn und der Beschäftigungsdauer richtete. Für alle Arbeiterkinder wurde eine gemeinsame Weihnachtsbescherung ausgerichtet.
Im Jahre 1908 begann der Bau der ersten Häuser in der Werkssiedlung „Günthersfeld“. Oberhalb der Papierfabrik, im heutigen Mitschurinweg, wurden insgesamt 15 Häuser mit 50 Betriebswohnungen für Betriebsangehörige errichtet. 1926 verlegte Felix Günther auch seinen Wohnsitz aus dem Fabrikgelände in diese Werkssiedlung. Er nannte sein beträchtliches Anwesen mit Villa „Günthershof“. Diese wurde zu DDR-Zeiten als Altersheim genutzt und fristet heute ein trauriges Dasein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Felix Günther von der sowjetischen Militäradministration zunächst als Treuhänder seines Betriebes eingesetzt, der ihm am 10. Mai 1947 von der Thüringer Landesregierung sogar rückübertragen wurde. Allerdings wurde der damals 76-Jährige bereits am 17. November jenes Jahres verhaftet und als „Naziaktivist“ verurteilt. Günther hatte in seiner Werkszeitung „Der Kollergang“ im nationalsozialistischen Geist geschrieben. Im März 1949 wurde er nach 16 Monaten Haft entlassen. Mit seiner Frau Margarethe zog er nach Eisbergen in Westfalen und arbeitete bis zu seinen Tod am 8. Februar 1952 als Berater für verschiedene Papierfabriken – unter anderen auch für Euler. Das Urteil gegen ihn wurde am 12. Juli 1994 vom Landgericht Gera für rechtswidrig erklärt und aufgehoben.
Die Papierfabrik wurde am 1. Juni 1948 enteignet und prägte die Stadt vier Jahrzehnte als VEB Papierfabrik Greiz. Ab 1967 entstand oberhalb des Standortes im Göltzschtal der Fabrikteil II, in dem 1971 die Papiermaschine VII in Betrieb ging. 1992 trennte sich die Dresden Papier AG von dem ursprünglichen Produktionsstandort, der heute vom Kulturverein Alte Papierfabrik genutzt wird.
Der Reprivatisierung der Papierfabrik in den 1990iger Jahren sowie dem Kauf durch die August Koehler AG und Euler GmbH & Co im Jahre 1998 ist zu verdanken, dass die Papierfabrik der Koehler Greiz GmbH & Co.KG heute der älteste, noch produzierende Standort in Thüringen ist.
Die Ausstellung im unteren Schloss dokumentiert die wechselvolle Geschichte des Greizer Traditionsunternehmen und thematisiert insbesondere das Wirken der Familie Günther. Zu sehen sind aber auch ein Modell der Papiermaschine VII und andere eindrucksvolle Zeitdokumente.
Gezeigt wird die Sonderausstellung bis zum 27. September.



Hier noch ein paar weitere Bildimpressionen von der Ausstellungseröffnung:











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